ellog - Das E-Learning-Logbuch

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Dienstag, 22. April 2014

Urheberrecht an der TU Dresden - Interview mit unserem Gastreferenten Dr. Michael Beurskens

PD Dr. Michael Beurskens von der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf

PD Dr. Michael Beurskens vertritt derzeit einen Lehrstuhl für Bürgerliches Recht und Europäisches Wirtschaftsrecht an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf (HHU). Neben einem LL.M. im Gewerblichen Rechtsschutz und einen Abschluss der University of Chicago (USA) besitzt er eine Anwaltszulassung im Staat New York. Zusätzlich zum Urheberrecht als eines seiner zentralen Forschungsgebiete ist er auch im Bereich des E-Learning aktiv und wurde hierfür bereits mit dem Hein@ward für eTeaching der HHU ausgezeichnet.

Herr Dr. Beurskens, gefährdet das Internet das geistige Eigentum?

Nein, das Internet macht das geistige Eigentum nur viel offensichtlicher. Bis in die 90er Jahre des letzten Jahrhunderts bedeutete „Raubkopieren“ das Brennen von CDs oder das Kopieren von Musikkassetten und deren Austausch in der Kantine, auf dem Schulhof oder in der Skatrunde. Mit jedem technischen Fortschritt wurden immer wieder Gefahren für das Urheberrecht gesehen: Vom Kassettenrekorder, mit dem man Radiosendungen aufzeichnen und so den Kauf der Langspielplatte sparen konnte über den Videorekorder bis hin zum Fotoapparat. Das Urheberrecht hat alle diese vermeintlichen Bedrohungen jedoch überlebt und meist auch gewinnbringend genutzt.
Durch die Digitalisierung und die schnelle Vernetzung von Computern kann jetzt jeder Kopien erstellen, die so gut wie das Original sind, aber auch selbst kreativ eigene Filme, Texte oder Bilder erstellen und diese online veröffentlichen. Gleichzeitig ist es heute so leicht wie nie und damit auch lukrativ, diejenigen zu finden, die Urheberrechte verletzen. Hätte ich früher Stammtische, Kantinen und Schulhöfe beobachten und Wohnungen durchsuchen müssen, genügt es heute, IP-Adressen zu sammeln oder Google zu benutzen und sich die so erhaltenen Informationen bequem durch die Telekommunikationsunternehmen in Namen und Adressen umwandeln zu lassen. Alles Weitere geht dann mit einem Mausklick per Serienbrief und die Abmahngebühren bzw. Schadensersatzzahlungen landen auf dem eigenen Konto. Weil man also die Raubkopierer so leicht findet, wird dies medienwirksam diskutiert. Gleichzeitig meinen heute aber auch viel mehr Menschen, sie seien Schriftsteller, Programmierer, Maler oder Komponisten und sollten Schutz erfahren. Schutz sucht man dann in Lizenzen, die aber zum Teil das Gegenteil von dem erreichen, was man will. Das Urheberrecht bleibt davon unberührt.
Als Jurist muss man schließlich noch sagen, dass man gar nicht so leicht vom Urheberrecht loskäme, selbst wenn man es wollte. Deutschland etwa ist über die EU zur Beibehaltung des grundsätzlichen Schutzsystems verpflichtet. Selbst wenn es gelänge, alle 28 EU-Mitgliedstaaten davon zu überzeugen, dass die Welt ohne Urheberrecht besser wäre, gäbe es immer noch völkerrechtliche Verpflichtungen mit anderen Staaten, die das jetzige System weitgehend fixieren. Und schließlich müsste man auch den Vertrauensschutz in Altfällen und die Gewährleistung von Grundrechten, wie dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht und der Eigentumsfreiheit der Autoren irgendwie gewährleisten. Insgesamt eine kaum lösbare Aufgabe.

Können Professoren bedenkenlos wissenschaftliche Texte in Seminaren und Vorlesungen ihren Studierenden zur Verfügung stellen, wie es aktuell Gang und Gäbe ist?

Das Urheberrecht schützt alle „eigenen geistigen Schöpfungen“, aber keine Tatsachen oder völlig trivialen Leistungen. Allein die Verwendung einer Formel oder einer Theorie verletzt daher keine Rechte. Auch simple Schaubilder, z.B. drei Kästchen und zwei Pfeile, erlangen keinen Schutz. Es muss also schon ein gewisser Mindeststandard erreicht werden und viele Aussagen, Grafiken und Ähnliches erreichen diesen gar nicht.
Wird aber der urheberrechtliche Schutz doch erreicht, trifft das Gesetz eine klare Aussage: Ohne Zustimmung darf man das Werk nicht verwerten. Zustimmungsberechtigt ist dabei in der Regel nicht einmal mehr der Autor, sondern der Verlag, der ausschließliche Nutzungsrechte erworben hat. Dieser lässt sich eine Rechteeinräumung fürstlich entlohnen:  für eine Gruppe von 20 Studierenden können das schon mehrere hundert Euro sein, für eine Vorlesung mit 300 Personen liegt man schnell bei tausenden von Euro.
Die Untragbarkeit dieses Ergebnisses hat auch der Gesetzgeber erkannt und deshalb eine Reihe von Ausnahmen geschaffen. Die wichtigste ist das Recht auf „öffentliche Zugänglichmachung für Unterricht und Forschung“ (§ 52a UrhG). Damit ist gemeint, dass die Dateien online auf einer durch Anmeldung gesicherten Seite oder im Intranet ausschließlich für die aktiven Kursteilnehmer zum Ansehen oder Herunterladen bereitgestellt werden. Unzulässig wäre es, den Studierenden Kopien auf Papier an die Hand zu geben oder ihnen die Texte per Email zuzusenden. Geschützt ist also nur das Anbieten als Downloadquelle. Aber damit nicht genug, die Norm hält eine Reihe weiterer Beschränkungen bereit: Es muss sich um „kleine Teile eines Werkes“, „Werke geringen Umfangs“ oder „einzelne Beiträge aus Zeitungen oder Zeitschriften“ handeln. Die Nutzung muss „zur Veranschaulichung im Unterricht“ erfolgen und darf nicht der bloßen Belustigung oder dem privatem (Vertiefungs-)Interesse ohne Kursbezug dienen. Vor allem muss das Angebot „geboten“ sein. Diese Merkmale sind außerdem durch die Gerichte auslegungsbedürftig. Zur Klarheit trägt dies nicht bei. Zudem ist diese Nutzung nicht kostenfrei, sondern die Hochschule bzw. das Land muss dafür eine Vergütung an die "Verwertungsgemeinschaft Wort" zahlen. Hierzu ist jede Nutzung nach ihrem Umfang, das heißt wie viele Seiten für viele Studenten, zu melden. Eine Meldeseite gibt es bereits unter https://tom.vgwort.de/intranetanhochschulen/editNewCourseAct. Wird nicht gemeldet, ist die Nutzung per se schon einmal rechtlich bedenklich. Wird gemeldet, aber die Nutzung entsprach nicht den Vorgaben, hat man selbst die Hochschule zum Schadensersatz verpflichtet. Vorrangig ist zudem grundsätzlich die Nutzung von Onlineangeboten der Verlage.  Selbst scannen ist daher die Ausnahme.
Insgesamt darf man also leider viel weniger als man gerne möchte. Die jetzige Praxis bewegt sich nicht nur in einer „Grauzone“, sondern ist schlicht illegal, wird aber glücklicherweise nur ausnahmsweise aktiv ermittelt und verfolgt.

Wie verhält es sich mit Bildern und Videos, die als Anschauungsmaterial z.B. auf Handouts und in Vorlesungen verwendet werden?

Einzelne Bilder und Videos genießen auch Urheberrechtsschutz oder sind zumindest durch ein Leistungsschutzrecht erfasst. Hier greift aber in der Regel das Zitatrecht (§ 51 UrhG). Zudem kommt im Einzelfall ein Schutzausschluss wegen Trivialität in Betracht.
Übrigens schützt auch die Nutzung von als Creative Commons lizenzierten Inhalten nicht generell, denn oft fehlt es an der richtigen Quellenangabe auf der Folie…

Die Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek (SLUB) Dresden hat sich zum Ziel gesetzt, in den kommenden Jahren ihren gesamten Bestand zu digitalisieren. Greift das nicht das Urheberrecht an?

Das Urheberrecht hat nicht nur das Ziel, alles planlos zu verbieten, sondern soll auch den Kulturbestand aufrechterhalten und sogar dessen Ausbau gewährleisten. Aus diesem Grunde gibt es gerade für die Digitalisierung durch Bibliotheken eine eigene Erlaubnisnorm (§ 53 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 UrhG). Danach dürfen digitale „Archive“ aufgebaut werden, wenn das Archiv im öffentlichen Interesse tätig ist und keinen unmittelbaren oder mittelbaren wirtschaftlichen oder Erwerbszweck verfolgt.

Diese Regelung wird ergänzt durch § 52b UrhG, wonach die Bibliothek auch elektronische Leseplätze in ihren Räumen anbieten darf, auf denen die digitalen Werke abgerufen werden können. Ist der Urheberrechtsschutz sogar abgelaufen (70 Jahre nach dem Tod des Autors), darf das Werk weltöffentlich zugänglich gemacht werden. Insoweit wird also bereits jetzt eine Grundlage geschaffen, um zukünftigen Generationen leichten Zugang zu ermöglichen.

Wie unterscheidet sich der digitale Bestand der SLUB von dem umstrittenen Service „Google Books“?

Google Books ist zunächst einmal eher gewerblich tätig, genießt also nicht das Privileg der unentgeltlichen Tätigkeit. Zudem will Google die Bücher weltöffentlich für jeden anbieten, während Digitalisierungsprojekte von Bibliotheken primär den eigenen Nutzern bzw. der Bestandssicherung dienen. Schließlich digitalisiert Google fremde Bücher, also keinen eigenen Bestand. Dies stimmt die Verlage zu Recht kritisch. Wegen der weltweiten Aktivitäten von Google müssen zudem verschiedene Rechtsordnungen berücksichtigt werden, was die Handhabung weiter erschwert. Daher kann Google sich nicht auf die Regelung im deutschen Urheberrecht berufen.
Zur Zeit bietet Google von den meisten Werken nur noch Auszüge an, die im Einvernehmen mit den Verlagen online abrufbar gestellt werden. Dies vermindert den Nutzen naturgemäß enorm. Eine automatisierte Prüfung, ob die Urheberrechte nicht bereits erloschen sind oder sogar nie Urheberrechte entstanden sind, ist technisch kaum möglich.

Gibt es aktuell neue Rechtsprechung in Bezug auf das Urheberrecht, die für Lehrende an der Universität relevant sind?

Eine ganz wichtige Entscheidung ist das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 28. November 2013 (Aktenzeichen I ZR 76/12). Darin werden die Voraussetzungen des Bereitstellens von Materialien für Studenten präzisiert.
Jedenfalls bemerkenswert ist ein Urteil des LG Köln vom 5. März 2014 (Aktenzeichen 28 O 232/13), das sich mit der Auslegung der „nicht kommerziellen Nutzung“ nach der Creative Commons Lizenz „CC-BY-NC“ befasst.
Nicht zeitlich, aber thematisch sehr aktuell ist noch immer die Entscheidung des Landgerichts München vom 19. Januar 2005 (Aktenzeichen 21 O 312/05), die sich sehr intensiv mit der Bedeutung der Freiheit der Hochschullehre im Verhältnis zum Urheberrecht auseinandersetzt.