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Dienstag, 3. Juni 2014

Prüfungsrecht an der TU Dresden - Interview mit unserem Gastreferenten Dr. Michael Beurskens


PD Dr. Michael Beurskens von der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf
PD Dr. Michael Beurskens von der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf

Herr Beurskens, elektronische Prüfungsformate haben in verschiedenen Bereichen rechtlichen Regelungsbedarf. Wie gut sind elektronische Prüfungsformate mit Prüfungsordnungen in der Regel vereinbar?

Da Prüfungen an einer Hochschule in der Regel für die Zulassung zu einem Beruf entscheidend sind, beschränken sie das Grundrecht auf freie Berufswahl. Wer endgültig nicht besteht oder eine schlechte Note erhält wird möglicherweise lebenslang davon abgehalten, seinen Traumberuf auszuwählen. Aus diesem Grund müssen alle „wesentlichen“ Fragen der Prüfung vorher einheitlich und vergleichbar definiert sein, um Klarheit und nachträgliche Überprüfbarkeit zu gewährleisten.
Für elektronische Prüfungen ist das aber meist ein Nachteil, da in den meisten Prüfungsordnungen (so auch an der TU Dresden) eine Prüfung am Computer nicht ausdrücklich angesprochen ist. Dies ist Anlass für erhebliche Unsicherheit – nicht nur bei den Lehrenden, sondern auch bei den Gerichten. Aus Vorsicht wird daher Zurückhaltung geübt oder intensiv und detailliert reguliert. Beide Wege sind aber mit Gefahren verbunden.

Besondere Anforderungen bestehen aber unstreitig für Multiple Choice Prüfungen, denn dort ist der menschliche Korrekturfaktor minimal, sodass sich eine falsche Fragestellung fatal auf die Bestehensquote auswirkt. Daher werden detaillierte Regelungen verlangt. Vorbildlich aber auch sehr voluminös ist insoweit etwa die Allgemeine Prüfungsordnung der Universität Göttingen, die diese Frage in § 15 Abs. 14 detailliert über mehrere Seiten regelt.

Aus Tradition hat freilich niemand Bedenken, dass Computer im Rahmen von Projektarbeiten, Haus- und Seminararbeiten, Bachelorarbeiten, etc. genutzt werden. Hier treten die Probleme erst auf, wenn man die jeweiligen Arbeiten automatisch auf Plagiate durchforsten will und die Studierenden widersprechen.

Wie können Lehrende dafür sorgen, dass elektronische Klausuren tatsächlich von den Studierenden geschrieben werden, die angemeldet sind?

Solange die Klausur in Räumen der Universität geschrieben wird, was regelmäßig der Fall ist, unterscheidet sich die Problematik nicht von der einer klassischen Papierklausur. Auf der E-Klausur-Software melden die Studierenden sich mit einer eindeutigen Kennung an. Diese kann entweder speziell für die Klausur generiert werden oder aus einem zentralen Identitätsmanagementsystem gespeist werden. Mitunter gibt es auch Kombinationen (Klausurkennung + Studentenkennung). Wird die Arbeit zu Hause geschrieben, stellen sich die gleichen Schwierigkeiten wie bei Hausarbeiten ein. Das ist dann aber kein Problem der Authentifizierung, sondern eher der Überwachung.

Aus datenschutzrechtlicher Sicht ist es bedenklich, ein Foto per Webcam vom Studenten in der Prüfung zu erstellen oder ihn sogar die ganze Prüfung hindurch zu filmen. Das wäre technisch kein großes Problem, ist aber im Zweifel, selbst wenn man hierzu eine Grundlage in der Prüfungsordnung schaffen würde, nicht „erforderlich“ und daher wohl unzulässig. Vor allem müsste man dann auch eine Regelung zur zeitnahen Löschung schaffen und diese technisch erzwingen.

Gibt es eine Möglichkeit, Plagiats- oder andere Betrugsversuche, wie die Nutzung unerlaubter Hilfsmittel, bei E-Klausuren zu verhindern?

Praktisch wird hier meist ein Rundumschlag gemacht, indem einfach nur ein Programm mit einer Funktion für die E-Klausur zur Verfügung gestellt wird. Das ist technisch kein Problem, soweit die Arbeit zentral auf universitätseigenen Geräten in einem Prüfungsraum geschrieben wird.

Schwierig wird es im Fall eines „Bring-your-own-device“-Modells, bei dem die Studierenden die Arbeit auf einem eigenen Gerät schreiben. Auch hier gibt es Speziallösungen, die das gesamte System bis auf ein Programm, etwa einen Internetbrowser, der eine bestimmte Seite öffnet, abriegeln (vgl. SecurExamBrowser oder Safe Exam Browser). Solche Systeme finden z.B. in den USA bei der Anwaltsprüfung Einsatz.

Die beste Kontrolle bleibt freilich eine Aufsicht.

Welche rechtliche Handhabe haben sowohl Studierende als auch Lehrende, wenn die Technik noch vor oder während der E-Prüfung versagt?

Die Konstellation ist im Gesetz nirgends ausdrücklich geregelt, könnte aber in einer Prüfungsordnung normiert werden. Praktisch ist dieser worst case aber auch bei Papierklausuren denkbar (bei Stromausfall im Prüfungsraum können die Studierenden nichts mehr erkennen – so geschehen vor einiger Zeit in Düsseldorf). Solange der Ausfall zeitlich begrenzt ist, kann schlicht die Schreibzeit verlängert werden. Ist die Fortsetzung der Arbeit aus psychischen aber auch praktischen Gründen unzumutbar, muss ein Nachschreibetermin angesetzt werden. Sind Daten verloren gegangen, ist die Lage natürlich fatal. Hier wird man, wenn der Ausfall spät in der Prüfung eintritt, einen neuen Versuch anbieten müssen. Die gängigen Systeme sichern daher die Daten regelmäßig online.

Versagt die Technik unmittelbar vor der Prüfung und ist eine Reparatur nicht absehbar, kann die Prüfung vertagt werden. Hier stellen sich aber nach den meisten Prüfungsordnungen Fristprobleme (Ladungsfristen!), soweit diese Konstellation nicht geregelt ist. Natürlich können die Teilnehmer verzichten, ansonsten ist eine Interessenabwägung erforderlich.

Welche anderen Prüfungsarten gibt es im E-Teaching neben der E-Klausur, die am Rechner zu Hause oder in der Universität durchgeführt wird?

Das Spektrum an formativen Prüfungen ist sehr breit. Zu nennen sind vor allem Projektarbeiten (Ergänzung eines Wikis, Schreiben eines Programms, Auswertung von Daten, Recherchieren von Informationen), kommunikative Leistungen (Teilnahme an einem Live-Chat, einer Videokonferenz, einem virtuellen Klassenzimmer, einem Forum, etc.) oder auch die Dokumentation bzw. Reflektion des Lernprozesses (in einem Blog, per Twitter, im Rahmen eines ePortfolios, etc.).

Im Bereich der summativen Prüfungen wird das Feld aufgrund der Prüfungsordnungen meist verengt. Aber auch hier muss es sich nicht immer um eine „Multiple-Choice-Prüfung“ handeln. So gibt es durchaus das Modell einer „Open Book“-Prüfung, bei der alle Hilfsmittel (insbesondere auch das Internet) zugelassen sind und gerade die eigene Recherchefähigkeit in die Prüfung einfließt. Auch eine Seminararbeit muss nicht zwingend ein langer Text sein, sondern kann multimedial oder kollaborativ erstellt werden. Schließlich gibt es gerade als Projektarbeit vielfältig denkbare Gestaltungen.

Wie sieht die Rechtslage aus, wenn Studierende mit der Technik bzw. dem digitalen Prüfungsformat nicht zurechtkommen und deswegen ein schlechteres Ergebnis erlangen?

Intuitiv sollte man meinen, dass die Lage nicht anders sein dürfte als bei einem Studenten, der eine nicht entzifferbare Handschrift hat oder der aufgrund von Prüfungsangst in Klausuren schlecht abschneidet - auch diese haben kein Recht zur Prüfungsanfechtung. Diesen Gedanken haben die Gerichte jedoch nicht immer geteilt, denn es hat in der Tat schon erfolgreiche Prüfungsanfechtungen wegen individuellen Problemen mit der Technik gegeben.

Erfolgreich waren bislang vor allem drei Begründungsansätze:

1. Entscheidend ist zunächst, welche Erwartungen der Studierende vor Besuch der Veranstaltung über die anstehende Prüfung haben durfte. Wird in der Informatikklausur der Einsatz eines Computers verlangt, können Studierende sich kaum beschweren. Wird von einem Jurastudenten die Nutzung eines PCs verlangt, hat dieser eventuell Grund zur Kritik. Heutzutage dürfte dieses Argument aber zunehmend geringere Bedeutung einnehmen. Auch wenn man vor Belegung der Veranstaltung nicht weiß, dass man am Ende vor dem Computer sitzen wird, muss man zumindest darauf gefasst sein.

2. Naheliegender ist in vielen Fällen die Behauptung, der Computer sei ein ungeeignetes Mittel zur Prüfung gewesen. Soweit dieser in der Tat nachweislich Nachteile begründet, besteht ein Rechtfertigungsbedarf, warum gerade diese Prüfungsform gewählt wurde. Das Argument, dass die PC-Prüfung dem Prüfer Arbeit erspart, muss zurücktreten, wenn hierdurch die Gleichbehandlung der Studierenden und die Vergleichbarkeit der Prüfung gefährdet sind.

3. Schließlich kann eine Prüfung möglicherweise angefochten werden, weil der konkrete Student unangemessen benachteiligt wurde. Dies kommt in Betracht, wenn er durch eine Behinderung oder aus sonstigen Gründen (etwa weil er einen schlechter ausgestatteten Computer als die anderen Teilnehmer hat) benachteiligt wird. Dies ist aber ein strukturelles Problem der E-Prüfung, das bereits bei der Organisation aufgefangen werden sollte.

Anfang des Jahres wurde bekannt, dass ein Richter in Niedersachsen Prüfungsfragen an Studierende vorab illegal verkaufte. Wie angreifbar sind E-Prüfungen in Bezug auf Datenmanipulierung und Datenklau?

Der Fall aus Niedersachsen zeigt, dass die größte Lücke nicht die Technik, sondern die sich damit befassenden Menschen verursachen. Alle Papierklausuren sind auch elektronisch verfügbar und zwar auf den Computern der Prüfer und der Prüfungsämter und je nach Übermittlung auch noch auf diversen E-Mailservern. Die Prüfungsergebnisse von Papierprüfungen landen ebenfalls letztlich in Computersystemen, wo sie manipuliert werden könnten. Dennoch sind die bekanntgewordenen Fälle von Datenmanipulation oder Datenklau sehr selten.

Rechtlich bestehen für elektronische Prüfungen die gleichen Anforderungen wie bei einer Papierklausur: Die zum Schutz getroffenen Maßnahmen sind zu dokumentieren, praktischerweise auch alle Zugriffe auf das System mit Benutzerkennung und Zeitstempel. Auch nach der Prüfung ist diese Dokumentation zu archivieren und zwar idealerweise digital signiert, um spätere Änderungen auszuschließen.

Allgemeine Zweifel an der Tauglichkeit von E-Prüfungen bestehen heutzutage in der Justiz nicht mehr.

Vielen Dank für das informative Gespräch.

Zur Person:
PD Dr. Michael Beurskens vertritt derzeit einen Lehrstuhl für Bürgerliches Recht und Europäisches Wirtschaftsrecht an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf (HHU). Neben einem LL.M. im Gewerblichen Rechtsschutz und einen Abschluss der University of Chicago (USA) besitzt er eine Anwaltszulassung im Staat New York. Zusätzlich zum Urheberrecht als eines seiner zentralen Forschungsgebiete ist er auch im Bereich des E-Learning aktiv und wurde hierfür bereits mit dem Hein@ward für eTeaching der HHU ausgezeichnet.